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Première conférence internationale sur le bâillement
 
First International Conference on Yawning
 
Paris 24 - 25 juin 2010
 
 
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Warum wir gähnen ? Neues von der Chasmologie Von Marcus Schwandner SWR.de PDF
 
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Gähnen Nicht schön, aber empathisch
Von Jenny Niederstadt
 
in der Frankfurter Allegemeine Sonntagszeitung
20 juni 2010 Nr 24 Seite 53
 
In Paris treffen sich Mediziner, Verhaltensforscher, Psychologen und Neurologen zur ersten internationalen Gähnkonferenz. Denn nach 30 Jahren Forschung ist noch immer nicht ganz klar: Was ist der Grund für das seltsame Verhalten?
 
Seinen wichtigsten Patienten trifft Olivier Walusinski im Sommer 1978: Ein dreißigjähriger Mann kommt in seine Praxis und bittet um Hilfe. Bei einem rätselhaften Leiden: Er gähnt einmal pro Minute. Eine verzweifelte Situation, denn der Patient wagt sich kaum noch unter Leute, hat Probleme beim Essen, Sprechen und Arbeiten. Walusinski ist ratlos. So einen Patienten hat der Allgemeinmediziner in der französischen Kleinstadt Brou, rund 70 Kilometer nordöstlich von Le Mans, noch nie behandelt. Er sucht in der Fachliteratur nach ähnlichen Fällen, ohne Erfolg. Er fragt im Kollegenkreis &endash; keiner kennt vergleichbare Krankheitsbilder.
 
Er wendet sich schließlich an die Universitätsklinik in Paris, und dort bestätigt ihm der Chefarzt der Neurologie, dass es zum Gähnen keine wissenschaftliche Literatur gibt. Einzelne Aufsätze zwar, Gedankenspiele, aber kaum empirisches Material. Ist das Gähnen zu langweilig für die Forschung? Kann es sein, dass eine der banalsten Funktionen des menschlichen Körpers dem Interesse der Wissenschaft entgangen ist? Eine Viertelmillion Mal gähnt der Mensch im Laufe seines Lebens, und vor Walusinskis Recherche hat sich offenbar kein Forscher je gefragt, warum?
 
Ein Mal Gähnen bringt nicht mehr Sauerstoff
Heute, mehr als 30 Jahre später, zählt Walusinski zu den führenden Experten der Gähnforschung. Er hat über historische Interpretationen von Hippokrates bis Descartes geschrieben, auf die sehr reale Gefahr des Kieferausrenkens hingewiesen und die Biochemie des Gähnens analysiert und außerdem mehr als 1000 Texte zum Thema gesichtet und ins Internet gestellt. Vor wenigen Wochen erschien außerdem der erste Sammelband zum Gähnen („The Mystery of Yawning") &endash; herausgegeben von Walusinski, der jetzt immerhin zwei Ursachen wüsste, die seinen einstigen Patienten leiden ließen. Und am kommenden Donnerstag eröffnet der Mediziner nun die „Erste Internationale Konferenz zum Gähnen". Sie vor allem soll dem Schattenfach endlich eine breitere Aufmerksamkeit bescheren. Psychologen, Hirnforscher, Zoologen und Mediziner treffen sich in Paris, um aktuelle Studienergebnisse zu diskutieren und vielversprechende Erklärungsansätze zu identifizieren. „Wir müssen endlich damit beginnen, interdisziplinär zu arbeiten", sagt Walusinski, „bislang ist keinem Teilbereich der Durchbruch gelungen." Selbst nach drei Jahrzehnten durchaus fruchtbarer Forschung ist völlig unklar: Was ist der Grund für das seltsame Verhalten?
 
Populäre Erklärungsmodelle sind längst entkräftet, etwa die Hypothese, Gähnen versorge das Gehirn mit zusätzlichem Sauerstoff. Das wurde bereits 1987 von dem amerikanischen Psychologen Robert Provine widerlegt. „Rückblickend kann man kaum noch verstehen, wie sich dieser Glaube so weit durchsetzen konnte", sagt Adrian Guggisberg, „denn selbst medizinische Laien verstehen sofort, dass ein einziger tiefer Atemzug die Sauerstoffversorgung des Hirns kaum beeinflusst." Der Schweizer Neurologe stellt in Paris eine Meta-Analyse physiologischer Studien vor &endash; mit vernichtendem Urteil. Kaum eine These der Forscherszene hält der wissenschaftlichen Überprüfung stand. Sein Fazit: „Wir müssen zurück auf Null gehen."
 
Nicht nur der Mensch macht den Mund weit auf
Dabei hat die Forschung tonnenweise empirisches Material angehäuft. In Roms U-Bahnen etwa zählten Wissenschaftler Gähner und notierten ihr Geschlecht. Ergebnis: Frauen und Männer gähnen etwa gleich viel, nämlich acht Mal am Tag fünf bis zehn Sekunden lang. Kampffischen setzte man Attrappen in Form von Artgenossen vor (die wurden aggressiv angegähnt). Menschliche Föten wurden per Ultraschall beim Gähnen beobachtet: Sie gähnen etwa dreimal so häufig wie Erwachsene.
 
Schön und gut, was aber fehlt ist die Theorie, die all die vielfältigen Beobachtungen zusammenhält. Und die Widersprüche erklärt, die alle naslang sichtbar werden: Es überfällt uns vor dem Schlafengehen, aber ebenso nach dem Aufwachen. Wir gähnen bei Hunger, aber auch nach dem Essen. Bei Müdigkeit wie bei Stress. Fallschirmspringer etwa gähnen kurz vor dem Absprung, Olympioniken direkt vor dem Startschuss, Erstklässler, wenn sie Lesen und Schreiben lernen. Und nicht nur der Mensch gähnt: Nahezu alle Wirbeltiere tun es, an Land, im Wasser, in der Luft &endash; Katzen, Ratten, Krokodile, Vögel, ja selbst Fische. Tiere gähnen sogar nach einem ganz ähnlichen Muster wie der Mensch. Es scheint ein universeller Code zu sein, der viele Millionen Jahre Evolution überlebt hat. „Alle gähnen", sagt Guggisberg, „aber keiner weiß, warum."
 
Ein gewaltiger Kraftakt für die motorischen Fähigkeiten
Dabei belegen gerade die Ungeborenen, welche Bedeutung das Gähnen für den Menschen haben muss. Bereits mit 14 Wochen gähnen und strecken sich Föten &endash; ein gewaltiger Kraftakt für die Winzlinge. „Sie wiegen gerade 50 Gramm", sagt Walusinski, „da ist so ein Energieverlust nur sinnvoll, wenn ihm ein großer Nutzen gegenübersteht." Zudem tauche das Gähnen etwa gleichzeitig mit dem Saugreflex auf, ist es auch ähnlich überlebenswichtig? Olivier Walusinski vermutet, dass ein Ausbleiben auf eine Fehlentwicklung hinweisen könnte, der kleine Körper durchs Gähnen und Strecken seine motorischen Fähigkeiten testet und diese weiterentwickelt. Wie tief verwurzelt das Gähnen ist, hat der Franzose bei querschnittsgelähmten Patienten beobachtet, die ihre Arme und Beine nicht mehr willentlich bewegen können. Selbst beim Lachen, Niesen oder Husten reagieren die Extremitäten nicht, wohl aber beim Gähnen. Für Neurowissenschaftler ist das ein Beweis dafür, dass es vom Stammhirn gesteuert wird.
 
Doch am Computertomographen leuchtet nicht nur dieser älteste Teil des Gehirns auf, wenn Testpersonen gähnen. Andere Regionen werden ebenfalls aktiv, und Studien liefern widersprüchliche Ergebnisse: Diskussionsstoff für Paris. Zumindest belegen die Aufnahmen, dass es ganz unterschiedliche Arten gibt: Die Experten unterscheiden zwischen dem spontanen Gähnen, das uns aus dem Nichts heraus oder bei Müdigkeit überfällt, und dem sozialen Gähnen. Dieses überkommt uns, wenn wir andere Personen dabei beobachten. 55 Prozent aller Menschen folgen diesem Verhalten innerhalb von fünf Minuten, und sie reagieren nicht nur auf den visuellen Reiz: Es genügt, das typische Geräusch zu hören. Selbst das wiederholte Lesen des Wortes, ja sogar der Gedanke ans Gähnen macht uns anfällig: Jeder zweite Leser dieses Artikels wird in den kommenden Minuten gähnen &endash; garantiert. Gähnen ist ansteckender als jede Krankheit, wie ein Reflex, der aber keiner ist.
 
Einfühlsame Menschen lassen sich am häufigsten mitreißen
Neuropsychologen formulieren deshalb die These, Gähnen sei vor allem ein sozialer Akt, eine Art nonverbale Kommunikation. Aus dem Tierreich gibt es dafür zahlreiche Hinweise. Löwen etwa gähnen kurz vor dem Aufbruch zur gemeinsamen Jagd. Herdentiere koordinieren so vermutlich ihre Ruhezeiten. Und Affen demonstrieren durchs ausgiebige Gähnen ihren Status; kein Lebewesen gähnt so viel wie das dominante Männchen kurz vor dem Sex. Wie der Mensch, so stecken sich auch andere Primaten, etwa Schimpansen, untereinander beim Gähnen an. Für Biologen ist das ein Beleg für ihre hochentwickelten geistigen und sozialen Fähigkeiten. Ähnliches leistet sonst nur das am stärksten auf den Mensch ausgerichtete Tier, der Hund. Dieser ist zwar immun gegen das Gähnen seiner Artgenossen. Gähnt jedoch sein Besitzer, lässt er sich in 70 Prozent aller Fälle anstecken &endash; viel eher als ein Mitmensch.
 
Hirnforscher haben außerdem nachgewiesen, dass beim ansteckenden Gähnen die Spiegelneuronen aktiv sind. Einfühlsame Menschen sind besonders anfällig, und Familienmitglieder reagieren stärker als Fremde. Empathie macht uns zu sozialen Mitgähnern. Gestützt wird diese These durch Versuche des japanischen Neurologen Atushi Senju. Er stellte fest, dass sich Autisten vom Gähnen nicht anstecken lassen. Auch Schizophrene scheinen größtenteils immun. Wie sehr diese Art der Infektion sozial geprägt ist, zeigt auch die Tatsache, dass sich Kinder erst mit vier bis fünf Jahren anstecken zu lassen. Erst dann sind Selbstwahrnehmung und Einfühlungsvermögen ausreichend entwickelt.`
 
Macht Gähnen müde oder munter?
Während die soziale Funktion also in ersten Ansätzen belegt ist, sieht die Beweislage für das spontane Gähnen deutlich schlechter aus. Erwiesen ist nur ein Zusammenhang mit der Müdigkeit. Danach beginnt der Streit: Macht uns Gähnen müde? Oder ist es ganz im Gegenteil ein Versuch des Körpers, uns zu reaktivieren? Erklärt sich so das Gähnen der Fallschirmspringer, als Reaktion auf den Wechsel zwischen Stress- und Ruhephasen? Dieser Aufweck-These fehlt bislang allerdings die empirische Basis. Herzfrequenz und Hautspannung steigen dabei jedenfalls nicht an.
 
Auch die aktuellste Erklärung steht kurz vor dem Aus. Die amerikanischen Psychologen Gordon und Andrew Gallup vermuten, Gähnen kühle das Gehirn. In Paris wird ihre Annahme wohl einigen Widerstand ernten. Erste Tests zeigen nämlich, dass die Temperatur im Hirn konstant bleibt, ganz gleich ob man gähnt oder nicht. Forscher wie der Schweizer Adrian Guggisberg halten es daher für möglich, dass es ein rein sozialer Akt sein könnte ohne physiologischen Grund. „Auch soziale Funktionen können so wichtig sein, dass sie im Lauf der Evolution Bestand haben." Beobachtungen von Ethnologen scheinen das zu bestätigen: Fast alle Kulturen der Welt erachten das Gähnen als so wichtig, dass spezielle Regeln entwickelt wurden, meist mit einem Tabu: Gähnen gilt als unhöflich, als ein Zeichen von Desinteresse. Insofern könnte die Gallup-Erklärung doch von Bedeutung sein, Vater und Sohn liefern nebenbei ein Rezept gegen ungewolltes Gähnen. Wer einen drohenden Anfall stoppen will, sollte sich Kühlpads gegen die Stirn pressen. Schön ist auch dieser Anblick nicht, aber immerhin wirkt das Verhalten nicht ansteckend.
 
Literatur: Olivier Walusinski (Hrsg.), „The Mystery of Yawning in Physiology and Disease", Karger Verlag, Basel 2010.
 
First International Conference on Yawning, 24. bis 25. Juni 2010, Hôpital de La Salpêtrière, Paris.
 

Die Grosse Gähn-Lüge
Bernd Herbon
P.M. Welt des Wissens
Juli 2010