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 L'histoire des neurosciences à La Pitié et à La Salpêtrière J Poirier
The history of neurosciences at La Pitié and La Salpêtrière J Poirier 
 
 
 

mise à jour du
 3 décembre 2006
Zeitschr Arztliche Fortbildung
1925;22(16):483-486
Die symptomatische Bedeutung des Gähnens
Prof. Furbringer
Berlin 1925
Die symptomatische Bedeutung des Gähnens
NeiBer M 1925
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Es muB befremden, daB der im Titel genannte, bald behaglich bald peinlich empfundene Vorgang, von dem kaum ein Sterblicher ausgeschlössen ist, der bereits im Säuglingsalter zu beginnen und dem Senium eine besonders treue Bundesgenossenschaft zu halten pflegt, der unter den Saugetieren weit verbreitet und den Vogeln nicht fremd ist, von unserer Literatur verhältnisrmäBig stiefmutterlich behandeit ist. Man kann ganze Reihen von Zeitschriften, dickleibige Lehrwerke durchiesen, ohne eine einschlägige Abhandlung, eine flüchtige Notiz zu erspahen. Wenn ich auch dem nur wenige Jahre zuruckliegenden Anspruch, daB wir bislang im wesentlichen nur über laienhafte Beschreibungen des Vorgangs verfugt, nach Durchackerung eines guten Stucks Literatur nicht you beizutreten vermag, so ist doch unverkennbar, daB eine wissenschaftliche Erforschung nach ersten, auf Jahrzehnte blickenden Anfangen, nach völligem Schweigen während des Krieges erst in der Nachrevolutionszeit, insbesondere seitens findiger Nervenarzte unter Berichtigung so mancher irrtümlichen Deutung eingesetzt hat. Immerhin hat die klinische Beobachtung trotz der verhältnismäBig spärlichen Berichte längst auch noch heute gültige Ergebnisse geliefert.
 
Wenn die Redaktion dieser Zeitschrift mir die Aufgabe gestellt hat, mich im Sinne der Fassung des Themas im Umfang von einigen Spalten. Zu äuBern, so bedarf es keiner besonderen Begründung, warum ich mich in diesem "Organ fur praktische Medizin" auf eine ins Tiefe gehende Problematik, so verlockend sie auch auf dem Boden wertvoller ErschlieBungen und sinniger Betrachtungen, kaum einlassen kann. Dies um so weniger, als die Autoren selbst der spekulativen Erörterung einen weiten Spielraum gewährt und einen nicht spärilchen Betrag des Unsicheren und ungenügend Erforschten vertreten haben. Und doch ist in das bisher so dichte Dunkel ein erfreuliches MaB von Licht getragen worden. Es lohnt sich eine Berichterstattung. Sie soil eigener Zutat nicht entbehren.
 
Ich glaube eine Schilderung des in seinen groben Grundzugen schon dem blöden Laien geläufigen Gähnakts und seine Deutung um deswillen voranschicken zu sollen, weil die Definitionen und Urteile der verschiedenen Autoren zum Teil unvollständig und nicht widerspruchsfrei sind. Wir verstehen unter Gähnen (oscitare, hiare) eine eigenartige, in mancher Richtung dem Husten, Niesen, Lachen, Seufzen, Schluchzen nahestehende komplizierte Atembewegung, bestehend in einer langsamen, tiefen, meist akustisch wahrnehmbaren Inspiration bei weit offenem Munde (tonischem Krampf der Kieferöffner) und einer kürzeren, desgleichen vorwiegend tönenden Exspiration. Nur scheinbar ist der Widerspruch, daB em nordischer Verfasser eines groBen Lehrbuchs der Physiologie die Einatmung bei "weit offener Stirnrnritze" vor sich gehen läBt, während von einem erfahrenen Neurologen die "verengte Glottis" vertreten wird. Es gibt eben ein lautes und leises Gähnen. Mit der genannten Tätigkeit pflegt eine starke Hebung des Gaurnensegels und ein mit Erweiterung der Nasenlöcher einhergehender Tonus der Gesichtsmuskehn, der sich bis zur Tränensekretion und entsprechendem AbfluB durch die Nase steigern kann, verbunden zu sein. AuBerdem wird starkes Gähnen unter Umständen von einem expansiven, sich auf Glieder und Rumpf erstreckenden Dehnen begleitet. Temperamentvolle hemmungslose Naturen werfen wohl auch bei intensivern Gähnen die Arme empor und ballen die Fäuste, während der "Wohlerzogene" die Mitbewegungen zu bremsen und die Mundsperre durch die vorgehaltene Hand den Blicken zu verbergen oder uberhaupt zu unterdrücken sucht letzteres freilich mit leidigem Verzicht auf das Lustgefühl bei ungestörtem Ablauf und selbst unter Meldung einer Unlust, wie sie der willkürlichen und unwillkürlichen (Schreck!) Unterbrechung des Vorgangs eigen ist.
 
Mit Recht ist in neuerer Zeit das beregte, übrigens schon vor langen Jahren erwähnte, besonders bei Tieren zu beobachtende allgemeine Sichstrecken und Sichrecken als mit dem Gähnen eng verwandte, gleichfalls tonische Parallelerscheinung mit dem Bindeglied der tiefen Inspiration in den Vordergrund geruckt worden; bezüglich derHaufigkeit der Kombination wohl etwas zu weitgehend: Wer viele Gähner beobachtet, muB zum Schlusse kommen, daB beim Löwenanteil der Akt sich auf die oben bezeichneten Gebiete beschränkt und eine Begleitung von allgemeinem Sichdehnen mit mehr oder weniger wohligern Gefuhl mehr zu den Ausnahmen als zur Regel zählt. Man lasse auch nicht auBer acht, dad ungezählte Individuen sich unter den verschiedensten Bedingungen recken und räkeln, ohne zu gähnen. Da darf der Zusammenhang nicht als obligater allzu sehr unterstrichen werden. Das tut aber der immer mehr in Geltung tretenden Deutung des Gähnens als em auf Gesicht, Rachen, Kehikopf und Brustkorb reduziertes Sichrecken, das der Muskeierschlaffung entgegenwirkt ("frische Ladung der motorischen Neurone") keinen Abbruch tinter der Voraussetzung, daB die tiefe Inspiration weder Zweck ist noch dem Sauerstoffbedürfnis entspringt, sondern seine Entstehung der inspiratorischen Feststellung des Brustkorbes verdankt.
 
Die vorstehenden Erörterungen begrunden genugsam, daB das Gähnen entgegen so mancher, selbst ärztlicher Vorstellung, ein komplizirter automatischer Bewegungsvorgang ist und für den zentrifugalen Weg eine Fülle von Nerven in Tätigkeit zu treten vermag. Von einer sicheren Erforschung der zentripetalen Erregung kann keine Rede sein. Ist doch nicht emmal die notwendige Existenz eines Gähnzentrums (bzw. Reckzentrums) erwiesen. Hat sich der Glaube an das Kleinhirn lange Zeit erhalten, so hat die geltende Lehre von der Verwandtschaft mit dem Lachen, Weinen und sonstigen mimischen Automatismen zwar nicht mit der Unkenntnis des Zentrums aufgeraumt, aber die Vermutung, daB als Sitz des als Automatismus subkortikal zustandekommenden Aktes das GroBhirn Und speziell das Corpus striatum in Betracht kommt, zur nicht abwegigen gesterpeit. Mit gutem Grunde ist sogar der in einerm Falle von Gehirnkrankheit beobachtete Ausfall des Gähnens mit verwandten Automatismen nach einem Stadium entsprechenden Reizerscheinungen als fast zwingender Hinweis auf diese Lokahsation verwertet worden.
 
So wenig das Gähnen als Symptom besonderer Zustände und die speziellen Mechanismen endgultig erforscht sind, es fehlt nicht an Festlegungen, von denen immerhin em annehmbarer Teil in den Dienst der klinischen Diagnostik gestellt werden kann. Vom praktischen Standpunkt empfiehlt es sich durchaus, an der Eintellung in physiologische und pathologische Zustände festzuhalten, obzwar eine scharfeTrennung für die allerhäufigste und bekannteste Ursache, die Ermüdung oder richtiger Mudigkeit, also Schläfrigkeit ohne obligate vorgängige Anstrengung nicht durchführbar ist. Uberflüssig demnach, zu begründen, daB die Hochfrequenz auf den Abend bzw. die Zeit vor dem Schlafengehen fällt, was befremdlicherweise nicht ausschheBt, daB nicht wenige Gesunde auch am Morgen nach ausreichendem Schlafe und seibst Aufnahme der geistigen Arbeit erglebig und behaglich gähnen; ein Paradoxon, für das ich eine willkürliche Hypothese als Erklärung nicht wagen mächte. Kunstlicher Schlaf durch Hypnotika steigert die Neigung zum Gähnen offenbar nicht wesentlich. Ich darf hier einer eigentümlichen Beobachtung, die ich nirgends in der Literatur vorgefunden und zuerst an der eigenen Person gemacht, gedenken. Nach frühem Aufstehen und reichlicher Muskelbewegung am Tage durch Wandern, Radfahren usw. meldet sich mit fast unfehlbarer Sicherheit nach dem Abendessen, auch ohne vorherige spontane Neigung, beim eigenen Vorlesen ein imperöser Drang zum hartnäckigen Gähnen, gleichgültig ob der Inhalt der Lektüre anregt oder kalt läBt, sehr wenig zu meiner Freude wie der der Zuhörer trotz möglichster Unterdrückung der Störung. Ein gleiches ist mir hier und da von anderer Seite, auch von Jüngeren berichtet worden. Ich vermag mir den Vorgang nicht anders auszulegen, als daB durch die Muskeltätigkeit der Stimmbildung der Reflex für den Gähnakt ausgelöst wird.
 
Dem Gähnen infolge Müdigkeit gliedert sich as mit bemerkenswerter Häufigkeit durch Langeweile, also das peinliche Empfinden des zögernden Zeitablaufs herbeigeführte an. Auch hier als Ursache eine Untätigkeit, Lahmlegung des GroBhirns verantwortlich gemacht werden, und mit Recht sind wir belehrt worden, daB ein Entgegarbeiten, Sichwehren des Organismus gegen die Herabsetzung des Muskeltonus, des Stoffwechsels und der Zirkulation als Folge des Reizmangels sich auswirkt.
 
Schwer verständlich, aber vielleicht in gleichsinniger Richtung erklärbar ist die nicht seltene Herbeiführung des Gähnens durch Hunger. Mangelhafte Durchblutung des Gehirns?
 
In gewissem Gegensatz zu solchen Zusammenhangen berührt die nicht zu leugnende Tatsache der Verursachung des Gähnaktes durch gespannte Aufmerksamkeit. Ich wüBte keine befriedigende Deutung. Ein mir bekannter Professor, nicht schlechter Redner, füllte gewohnheitsmäBig die meisten kurzen Zwischensatzpausen bei seinen Vortragen durch mehr oder weniger mangelhaft unterdrücktes Gähnen aus. Ein seltsamer oratorischer Schmuck! Hier mag auch die mir von zuverlässiger Seite erwähnte hervorragende Gähnneigung kleiner Kinder bei ihrer Vorführung Erwähnung finden.
 
Höheres Interesse für den Arzt beanspruchen die pathologischen Zustände. Auch sie können als somatische wie psychische in Wirksamkeit treten; die ersteren, wenn man auf weitere Einteilungen Wert legt, als organische Krankheiten des Gehirns sowie als das Organ betreffende, funktionelle Störungen bedingenden Prozesse. Unter jenen dürfte nach MaBgabe der - sehr zerstreuten - Literatur im Verein mit eigener Beobachtung die Apoplexie obenan stehen und zwar sowohl im Stadium der Vorboten des Insults wie in der Periode der Reaktion als Zeichen des zurückkehrenden BewuBtseins, wenn der apathische Kranke wieder auf Fragen wenn auch unklare Antworten gibt. Doch kann hier die Häufigkeit des Gähnens ebenso wenig als regelmäBig gelten, wie bei der Encephalitis lethargica, der Bulbärparalyse der Paralysis agitans, der Meningitis und den Hirntumoren - hervorgehoben wird auch hier die Lokalisation in der hinteren Schädelgrube, besonders im Cerebellum und im verlängerten Mark -, endlich der Epilepsie. Für Lltztere zählt die freilich nur zeitweilige Erscheinung zu den Aurasymptomen ("bereitstehender Entladungs mechanismus").
 
Die Rolle des pathologischen Gähnens als Herdsymptom muB als fraglich angesprochen werden.
 
Für alle (lie vorgenannten Gruppen ist der Mangel an systematischen, auf das Vorkommen des Gähnens als Symptom unter bestimmten Bedingungen gerichteten Beobachtungen beklagenswert. Es tut not, diese empfindliche, vorwiegend durch Nichtbeachtung der Erscheinung überhaupt verschuldete Lücke auszufüllen. Ich selbst kann mich von diesem Vorwurf, hingesehen auf ein jahrzehntelang zur Verfügung stehendes Material nicht freisprechen. Bevor wir nicht über eine umfassende, zielbewuBt beobachtete klinische Kasuistik gebieten, ist es um eine annehmbare Aufstellung stichhaltiger Lehrsätze schlecht bestellt. Ich argwöhne, daB das pathologische Gähnen sich viel häufiger findet, als die vorliegenden Berichte vermuten lassen. Es fehlt eben an der nötigen Direktive.
 
Innerhalb der an zweiter Steile genannten Gruppe verdienen die anäm ischen Zustände zumal nach abundanten Blutungen, die Ohnmacht und die Kachexie herausgehoben zu werden. Hier steht naturlich die ätiologische Rolle der schlechten Durchblutung des Gehirns auf festerem Boden. Vielleicht zählt hierher auch das zweifellos nicht seltene hartnäckige Gähnen bei langerem Aufenthalt in verdorbener Luft (überfüllten Wirtshäusern, Theatern, Sitzungssälen usw.). Der früher als Ursache so allgemein vertretene Sauerstoffmangel bzw. das gesteigerte Atembedürfnis mit der Folge des Erstrebens einer Regulierung des Gaswechsels im Blut und Behebung des Nachlasses der Vis cordis kann ob der Ablehnung einer Abhängigkeit der tiefen Inspiration von einem Sauerstoffbedürfnis (s. o.) in dieser Fassung nicht mehr aufrecht gehalten werden. Schwer einzureihen ist das sich bei systematischer Befragung des Patienten als ziemlich haufig herausstellende zähe, zum Teil in die Kategorie der psychischen Zustände hineinspielende Gähnen am Schlusse schwerer neuralgischer Anfalle, besonders der Migräne - hier auch gelegentlich als Vorläufer bzw. Initialsymptom - und der Kardialgie, weiterhin in den frühen Stadien des Morphinismus sowie bei Nervenschwächlingen überhaupt, nicht minder beim Kranken der weiblichen Geschiechtsorgane und im Verlauf, besonders im Beginn verschiedener Infektions krankheiten. Beachtenswert, daB im Bereich der letzteren von anerkannter Seite die Erscheinung mit einer günstigen Prognose versehen wordden ist, insofern sie den Trägern schwerer Grade mit direkter Lebensbedrohung und zumal Sterbenden abgesprochen wird. Im übrigen lautet das Urteil uber die prognostische Bedeutung des Gähnens uberhaupt recht verschieden.
 
Die pathologischen psychische n Zustände anlangend, beherrscht der trotz seiner relativen Seltenheit in der Literatur hervorragend gewürdigte, mit dem Nies-, Lach-, Wein-, Husten-, Schluchzund Rülpskrampf Berührungsflächen teilende Gähnkrampf der Hysterischen (Chasmus, Oscedo) die Lage. Wer ihn gesehen, wird ihn nie vergessen: Das ohne ersichtlichen AnlaB oder nach einer körperlichen wie heftigen Gemütserregung mit und ohne Müdigkeitsgefühl erfolgende Einsetzen einer Reihe mehr oder weniger eng aneinander anschlieBender, langer und tiefer, machtlos bekämpfter Gähnakte, die begleitende Nackenstarre, den TränenfluB bei krampfhaftem AugenschluB, die Beklemmung und Angstgefühle. Im Schlaf und während reichlichen Essens schweigt die Störung. Wenn für eine etwa vierteistündige Dauer des Anfalls durchschnittlich sechs Einzelakte angegeben werden, so muB ich freilich bemerken, daB ich gelegentlich auch bei Gesunden oder doch nicht ernstlich Kranken annähernd die gleiche Zahl ohne Anfallscharakter beobachtet habe. Das Bezeichnende bei den Oscedo-Opfern pflegt eben weniger die Frequenz als das Paroxystische im Verein mit der hohen Intensität und Dauer des einzelnen schweren Vorgangs (bis 30 Sekunden und mehr) zu sein.
 
Welche ungeheuerliche Ausschreitungen aber möglich sind, zeigt u. a. der vielzitierte Charcotsche Fall. Die junge Hysterika gähnte in der schlimmsten Zeit fast den ganzen Tag, in der Stunde bis zu 500 mal, so daB zeitweise die Störung das normale Atmen ersetzen muBte. Nicht ohne guten Grund wird für den hervorragend mit dem Begriffe der Suggestion rechnenden Gähnkrampf ein besonders locker sitzender Automatismus, die Auslösung schwerer Entladungen durch geringfügige Impulse, eine abnorm leichte Umsetzung von Vorstellungen in somatische Vorgänge verantwortlich gemacht. Anklänge an die Anfälle findet man übrigens hier und da bei Neurasthenikern, Psychopathen und Psychasthenikern. Bedauerlich, daB man über das Gähnen dieser Träger der pathologischen Signatur der Neuzeit ErschlieBungen selbst in speziellen neurologischen lehrbuchmäBigen Bearbeitungen fast völlg vermiBt. Auch bezüglich des Verhaltens bei Geisteskranken, über das ich aus eigener Erfahrung nichts Verwertbares zu berichten weiB, ist die Sehnsucht nach der Bekanntgabe einschlägiger Erfahrungen auf breiter Basis wohlbegründet.
 
Endlich kann an der allgemein bekannten Tatsache der Auslösung des Gähnakts durch den Anblick Gähnender nicht vorübergegangen werden: "Gähnen durch A nsteckung". Es mag zutreffen, daB letztere öfters nur durch die gleichen Noxen, denen die Beteiligten ausgesetzt sind, wie die bereits erwähnte Luftverderbnis, nur vorgetäuscht ist. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich aber um einen unbewuBten reflektorischen Vorgang, eine mimische Kontagion, eine Nachahmungsautomatik. Die Ideenassoziation kann so weit gehen, daB schon ein Sprechen vom Gähnen, ja die bloBe Vorstellung den Akt ausLöst.
 
Ist die Theorie des Gähnens trotz verdienst voller ErschlieBungen noch immer ein wenig aufgeheltes Gebiet und mancher Zusammenhang ohne halbwegs befriedigende Erklärung geblieben, so harrt nicht minder die praktische Seite des Problems einer annehmbaren Verwertung. Wenn berets vor Jahrzehnten in der maBgebenden Literatur von einer unerheblichen pathologischen bzw. diagnostischen Bedeutung des Phänomens die Rede ist und das Urteil in neuerer Zeit im Grunde wiederholt wird, so liegt es mir fern, auf dem so wenig bebauten Felde das Gegenteil zu vertreten. Nicht zum wenigsten ist die MiBlichkeit in dem Urnstande begrundet, daB wir es mit einer alltäglichen physiologischen Funktion zu tun haben, deren Abgrenzung vom Begriff der krankhaften Störung innerhalb weiter Grenzen nicht gewagt werden darf. Gleichwohl möchte ich unter Bezugnahme auf die vorstehenden Erörterungen die Aufmerksamkeit auf eine nicht glatt zu unterschätzende Wegweisung für einige Krank.heitsgruppen lenken, so wenig auch dem Symptom eine entscheidende Bedeutung zugesprochen werden kann. Das Einsetzen häufigen Gähnens beim Arteriosklerotiker, der bislang die Erscheinung nicht auffällig zur Schau getragen, muB den Verdacht auf einen bevorstehenden Insult nahelegen, gleichermaBen beim Epileptiker und Opfer der Migrane unter entsprechender Bedingung an den drohenden Anfall denken lassen. Vielleicht gewinnt auch das Auftreten des rechtschaffenen Gähnkrampfs fur die Diagnose der Hysterie Bedeutung, insofern ihm unter Umständen elne monosymptomatische Rolle, also eines isolierten einzigen Zeichens der Krankheit zukommt.
 
Die Therapie liegt auBerhalb des gestellten Themas. Es bedarf nicht der besonderen Ausführung, daB sie nur da, wo der Vorgang als unliebsame Störung empfunden wird oder gar ein schweres Leiden darstellt, in Betracht kommt und im wesentlichen als ursächliche in der Bekämpfung der Müdigkeit und Langeweile sowie der Behandlung der Grundkrankheit besteht.
 
Zeitschr Arztliche Fortbildung
1925;22(20):627-628
Die symptomatische Bedeutung des Gähnens
Eine Bemerkung zu dem Aufsatz von Fürbringer
in Nr. 16 1925 dieser Zeitschrift.
Von Prof. M. NeiBer
Frankfurt a. M.
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Der Aufsatz gibt mir, obwohl ich Laie auf diesem Gebiete bin, Veranlassung, über eine eigene Erfahrung und ihre Deutung zu berichten, von denen ich seit Jahrzehnten schon mit Fachvertretern gesprochen habe, die hier zu erwähnen aber, wie der Fürbringersche Artikel beweist nicht überflüssig ist.
 
AIs junger Mann eilte ich zu FufB von SaasFée (1800 m) im schnellsten Tempo nach Stalden und fuhr von da sofort nach Genf (400 m), wo ich fast taub ankam. Es war ein beiderseitiger seröser PaukenhöhlenerguB entstanden, der in Berlin unter Schwalbachs Behandlung bald vollständig, bis auf einen leichten Tubenkatarrh beiderseits, verschwand. Und etwas ist seit jener Zeit zurückgeblieben: wenn ich mich 300-400 m erhebe (oder falle), so muB ich gähnen, etwa 3-4 mal, völlig automatisch, und ohne daB ich in der ubergroBen Mehrzahl der Fälle vorher daran denke, - und mit dem Erfolge, daB ich danach viel deutlicher den rauschenden Bach oder den windbewegten Wald, die ruckende Zahnradbahn oder dgl. höre, als vorher, ohne daf mir doch vorher das abgeschwächte Hören aufgefallen wäre.
 
Diese Erfahrung habe ich seit 30 Jahren bundertfältig auf Bergtouren und kieineren Besteigungen, im Freiballon, im Fesseiballon, im Flugzeug, auf Bergbahnen, im Auto, auf dem Eiffelturm bsf. gemacht, meine Angehörigen kennen die Erscheinung an mir, - ich bin häufig ihr MaBstab fur die Höhendifferenz von etwa 300-400 m. Es gibt also ein Gähnen, das augenscheinlich durch nichts anderes aufgelöst wird als durch die Druckdifferenz zwischen Paukenhöhle und Umgebung, wenn die Verbindung der Paukenhöhle und der Mundhöhle beiderseits durch Verklebung der Tube zeitweilig unterbrochen ist. Das aber kommt vielleicht ofters vor, als wir glauben, und braucht nicht auf schnellen Höhenwechsel beschränkt zu sein, man kann sich vorstellen, daB ein leichter chronischer Tubenkatarrh öfters zu Verklebungen beider Tuben führt, und daB eben durch allmähliche Resorption der Luft in der Paukenhöhle jene gähnnenauslösende Druckdifferenz zustandekommt, ohne jede, Ermüdung oder "Hunger" oder dgl.
 
Wenn jemand mit beiderseitiger Tubenverklebung stundenlang nicht iBt oder spricht, wodurch die Verklebung gesprengt werden könnte, so könnte bei ihm jener Zustand, vielleicht sogar gewohnheitsmäBig zu bestimmten Tageszeiten, auftreten. Wir alle kennen wohl solches gewolinheitsmäBiges Gähnen.
 
Auch experimentell lieBe sich das bei Menschen mit Tubenverklebungen oder auch sonst fetstellen, diese Zeilen sollen indessen nor eine kleine Ergänzung der interessanten Fürbringerschen Mitteilung in dem Sinne der Anregung sein, daB unter die Ursachen, welche Gähnen auslösen, auch die Druckdifferenz zwischen Paukenhöhlen und Umgebung in Betracht zu ziehen ist, hervorgerufen durch einen zeitweiligen beiderseitigen TubenverschluB.