- Gähnkrampf (Chasmus; Oscedo).
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- Das Gähnen ist eine unwillkürlich
auftretende abnorme Respirationsbewegung mit
langsamer, tiefer, von hörbarem
Geräusch begleiteter Inspiration bei
verengter Glottis und weit geöffnetem Munde
und mit darauffolgender kürzerer, ebenfails
meist geräuschvoller Exspiration.
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- Das krampfhafte Gähnen, der
Gähnkrampf, ist daher ais em
Respirationskrampf (gieich dem Krampfhusten,
Singultus, den Lach- und Weinkrämpfen, dem
Niesekrampf u.s.w.) zu betrachten; es wird von
dem Inspirationscentrum, dessen Sitz nach
Christiani in den Boden des 3. Ventrikels, nach
Martin und Booker auch in den hinteren
Vierhügel zu verlegen ist, eingeieitet,
wobei die Erregung, wie bei den verwandten
Krampfformen, entweder als eine direkte
centrale, oder als eine von der Peripherie
ausgehende reflektorische gedacht werden
kann.
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- Wir finden demnach den Gähnkrampf u. a.
als eine Begleit und Teilerscheinung
mannigfacher Cerebralaffektionen, anscheinend
besonders solcher, die auch mit Dyspnöe
erzeugenden Momenten (arterielle
Gehirnanämie, Kreisiaufstörungen der
Medulla oblongata) einhergehen, z. B. im Gefolge
apoplektischer Hämorrhagien. Ein
gewissermaBen physioiogisches Analogon liefert
uns das auth wohl als ,,krampfhaft" bezeichnete
Gähnen, das sich bei langerem Aufenthalt in
Räumen mit verdorbener Luft,
überfüllten und schlecht ventilierten
Wirtshäusern, Gesellschaftsalons, Theatern
u. s. w. als Schreckgespenst einstellt, und das
unzweifeihaft zum Teil durch den
veränderten Gasgehalt, Sauerstoffmangel und
gleichzeitige Kohlensäureüberladung
des zur Medulla oblongata strömenden Blutes
bedingt ist.
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- Wenn man das Gähnen unter derartigen
Verhältnissen als ,,ansteckend" bezeichnet,
so ist, obgleich der Nachahmungsautomatik
immerhin ihr Anrecht gewarhrt bleiben mag, nicht
zu übersehen, daB die gleichen Noxen hier
auf alle an dem gleichen Orte versammelten,
resp. eingezwängten Individuen
einwirken.
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- Einen reflektorischen Ursprung mag man
vielieicht dem krampfhaften Gähnen
hysterischer zuzuschreiben geneigt sein; doch
ist der peripherische AnstoBkaum sicher
nachzuweisen, und offenbar gehören ja die
Respiratioriscentren (die inspiratorischen wie
die exspiratorischen) bei Hysterischen gerade zu
denjenigen motorischen Centralbezirken, die sich
in besonders labilem Gleichgewichte befinden und
durch relativ geringfügige lmpulse zu mehr
oder minder schweren und ausgebreiteten
Entladungen in sehr variabler Form disponiert
werden.
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- Als reflektorisch ist vielleicht auth das
krankhafte Gähnen am Schlusse schwerer
neuralgischer (besonders kardialgischer und
hemikranischer) Anfälle zu betrachten. Dem
Symptome des "Gähnkrampfes" kommt nach dem
Gesagten eine erhebliche pathologische und
Semiotisch-diagnostische Bedeutung nicht zu;
ebenso wenig begründet es an sich em
therapeutisches Eingreifen, das vielmehr nur auf
die zu Grunde liegenden ursächlithen
Momente gerichtet zu sein braucht.
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