- Gähnen (s. a. niesen). Auch der
heutige Volksglaube kennt weitverbreitet jene
alte Anschauung, daB einerseits die Seele (s.
d.) beim G. durch den Mund entfliehen, und daB
anderseits, und dieses vor allem, böse
Geister in den Menschen eindringen können.
Nach einer äsopischen Fabel gahnt der
Werwolf var der Verwandlung in den Wolf. Mit dem
G., heiBt es in Tirol, fahren den Leuten leicht
böse Dinge in den Leib.
-
- Der Gähnende bekreuzt sich deshalb
gleich beim Offnen des Mundes und zwar im Namen
der hl. Dreifaltigkeit. "Wär gut, meint der
Butterer Natzl in der Ried, wenn sich die
bösen Weiber ihr weites Maul auch
bekreuzten, damit nix Böses herauskame".
Nach der volksmäBigen Uberlieferung um Linz
muB man sich beim G. den Mund bekreuzen, sonst
kann leicht der Teufel in einen fahren, oder
sieht der Böse wenigstens in den Mund
(Oberpfaiz). Wenn man gähne, fahre ein
böser Geist in einen hinein, d. h. man
werde geisteskrank oder besessen, glaubte man
vor etwa 60 Jahren in Schwaben oder dem bleibe
der Mund stehen (Köln).
-
- Vor allem den gähnenden kleinen Kindern
muB man den Mund rasch mit dem Finger bekreuzen
(um sie vor Krankheit zu bewahren), sonst
kriechen Kröten hinein. Gähnt ein
neugeborenes Kind zum erstenmal, so fährt
nach der Ansicht der Wärterinnen und
Hebammen (auch in der Stadt Braunschweig der
Teufel aus ihm aus; sofort schlägt man dann
im Erzgebirge drci Kreuze vor dem Mund des
Kleinen, die ihm den Rückweg versperren
sollen. MuB ein schlesisches Sechswochenkind
sich oft dehnen und g. (dies nennt man das
Hunde-G.), so muB man Stroh aus der
Hundehütte holen, es in die Wiege legen und
ein Vaterunser dazu beten (1792). Die
galizischen Juden spucken dem gähnenden
Kind dreimal ins Mündchen. Im Rheinland
lieB man sich räuchern, wenn man beim G.
einen Dämon verschluckt zu haben
glaubte.
-
- Wer häufig gähnt, heiBt, es
deshalb, ist verschrien, im Böhmerwald muB
er sich, um des Zaubers loszuwerden, mit dem
"Hemdstock" dreimal übers Gesicht
fahren.
-
- Neben dem Niesen wird das G. als Symptom der
Pest erwähnt: "Als im Jahre 590 eine Pest
viel Menschen hingerissen, schreibt J. J.
Müller in seinem BuB-Spiegel (Zurich 1673),
"indem, wann ein Mensch nieBen oder geinen
müsse, et alsobald dahingefallen, danahen
die Geinende im Papsttum sich mit dem Kreuz
bezeichnen".
-
- Selten gähnt nur einer, wenn zwei
beisammen sind, es sei denn, daB sein Tod nahe
bevorsteht, oder daB kein gutes Einvernehmen
zwischen ihnen herrscht. Deshalb heiBt es, daB
wenn der Kranke gähnt, er bald stirbtt, und
daB, wean zwei Personen verschiedenen
Geschlechts gleichzeitig miteinander g., sie
sich gern haben müssen. G. am Schlusse des
alten Jahres ist ein gutes Zeichen f ür das
neue. In derselben Gegend wollen viele das G.
beim Weibe post coitum schon für ein
sicheres Zeichen der Konzeption halten. Wenn man
in einem Gehöft, in dem man erst angelangt
ist, vor dem Einschlafen im Bette gähnt, so
bleibt man daselbst nicht lange. Selten kommt G.
aus gutem Herzen oder Schlucken aus guter
Gesinnung.
-
- In der Bretagne glaubt man, wenn der Wind
sich in dem Augenblicke dreht, wo man gähnt
oder eine Grimasse schneidet, bleibe das Gesicht
so stehen.
-
- Ist das Zäpfchen im Halse geschwollen,
so versuche man "über dem Daumen" zu g.:
man balle die Hand zu einer Faust und zwar so,
daB das obere Glied des Daumens von dem Zeige-
und Mittelfinger fast ganz bedeckt ist und
stemme das untere, unbedeckt liegende Glied
desselben zwischen die Zahne und versuche zu g.
|