- Das Wesen und die physiologische Bedeutung
des Gähnens ist bis heute nicht klar
erkannt. Em erhöhtes 02-Bedürfnis wird
durch das Gähnen nicht befriedigt,' wie
bereits Hauptmann hervorgehoben hat. Der
inspiratorische Atemstillstand, der auf die
vertiefte Einatmung folgt, verhindert
nämlich eine vermehrte Zufuhr von O2.
Dumpert hat desbalb eine andere Erklärung
gegeben: Das Gähnen soll gemeinsam mit dem
Reckreflex einen indirekten GefäBreflex
darstellen, der das Blut aus den Venen in die
Arterien preBt und so zu einer besseren
Durchblutung des Gehirnes führt. Wir
gähnen oder recken uns nach dieser
Auffassung immer dann, wenn eine Anämie des
Gehirns besteht und wenn eine Hyperämie
hergestellt werden soll.
-
- Diese Theorie stöBt aber auf eine
Schwierigkeit: Die Untersuchungen von Czerny,
Brodmann and Berger haben nämlich gezeigt,
daB sich das Gehirn im Schlafe stärker mit
Blut füllt. Das Gähnen muBte daher den
Eintritt des Schlafes geradezu begunstigen. Es
ist nur folgerithtig, wenn Lewy,
der erwähnten Theorie zuliebe, die klare
Tatsache bestreitet, daB dan Gehirn im Schlafe
hyperämisch wird. Dumpert
sucht diese Schwierikeit durcb den Hinweis zu
überwinden, daB die HirngefäBe im
Schlafe erschlaffen, während sie sich bei
psychischer Arbeit aktiv erweitern, wodurch sich
für das Gehirn in beiden Fällen
verschiedene Ernährungsbedingungen ergeben
sollen. Diese Hilfsannahme ist kaum
befriedigend.
-
- Sieht man in dem Gähnen das
reflektorische Bestreben des Körpers, die
Ermüdung Znubeseitigen, so wird der Zweck
nicht erreicht. Man hat ein sehr deutliches
Gefühl für die Ermudung, die zum
Gähnen AnlaB gibt. Dieses Gefühi wird
durek dan Gähnen nitht vermindert;
ebensowenig wird der Eintritt des Schlafes, wenn
nur sonst die Bedingungen günstig sind,
durch dan Gäbnen aufgehalten. Die
tägliche Erfahrung widerspricht dem Satze,
daB man gähne, um nicht müde zu sein,
man gähnt vielmehr, weil man müde
ist.
-
- Sehen wir zunächst von allen
Begleiterscheinungen ab, so ist an dem
Gähnen die Atemmuskulatur, nämlich die
Muskulatur des Brustkorbes und des Mundes
beteiligt. Der Gähnende atmet unter weitem
Offnen des Mundes tief ein, einige Sekunden lang
bleibt die Einatmungsstellung des Brustkorbes
und die Offnung des Mundes erhalten - mehrere
zwischengeschaltete geringere Atembewungen sind
möglich - dann wird wieder ausgeatmet und
der Mund geschlossen. Hinterher kommt es oft zu
einem kurzen Atemstillstand und einer
unrterdrückbaren) Schluckbewegung. Die
Augen schliessen sich meistens während des
Gähnens und beginnen hinterher zu
tränen.
-
- Beim Erwachsenen kann das Gähnen
willkürlich herbeigeführt werden es
steht auBerdem unter dem EinfluB bedingter
Reflexe. Der eigentliche Gähnenreflex
verläuft aber subkortikal, wie bereits C.
Mayer und Dumpert betont haben. Dies ergibt sich
am deutlichsten aus der Tatsache, daB bereits
die groBhirlosen, menschlichen MiBgeburten von
Gamper, Catel-Krauspe
und Creutzfeldt-Peiper gähnen und sich
recken konnten. Da im Falle Catel-Krauspe nur
das verlängerte Mark gebildet war, liegt
das Gähnzentrum nicht oberhalb dieser
Stelle.
-
- DaB das Gähnen einen niederen Reflex
bildet, ergibt sich weiter aus der Tatsache, daB
schon junge Frühgeburten imstande sind, mit
aller Deutlichkeit zu gähnen. Auf dieser
Entwicklungsstufe kommt eine
GroBhirntätigkeit noch nicht in Frage. Uber
die Verbreitung des Gähnens unter den
Tieren sind wir nur unvollkommen unterrichtet.
Nach Dumpert-Heinroth gähnen und recken
sich alle auf dem Lande lebenden Säugetiere
und alle Vögel. Wie die Verhältnisse
bei den Reptilien und Fischen liegen, ist nicht
bekannt.
-
- Der Mensch gähnt vor allem, wenn er
müde ist, wenn also die Erregbarkeit seines
Zentralnervensystems verringert ist, z. B. im
Halbschlafe, während des Einchlafens oder
Erwachens, aber auch bei nur
vorübergeherder Ermüdung, die nicht
vom Schlafe gefolgt wird. Das Gähnen des
verblutenden Menschen möchte ich
gleichfalls auf ein Sinken der zentralen
Erregbarkeit zurückführen.
-
- Die bekannten Tatsachen lassen sjch in der
Theorie zusammenfassen, daB das Gähnen
nichts weiter als eine Atembewegung darstellt
und auf einem Sinken der nervösen
Erregebarkeit des Atemzentrums beruht, wodurch
das Gähnzentrum enthemmt wird. Die Atmung
gleitet während des Gähnens auf eine
stammesgeschichtlich niedere Stufe hinab.
-
- Hiernach ist des Gähnzentrum als ein
für gewöhnhich gehemmter Bestandteil
des Atemzentrums aufzufassen, in dessen
Nähe es seines Sitz hat. Wie ich an anderer
Stelle ausführlich gezeigt habe, baut sich
das Atemzentrum des Menschen aus verschiedenen
Telizentren auf, die sich entwicklungs und
stammesgeschichtlich nacheinander gebildet
haben. Durch einen Zerlall des Atemzentrums, der
sich besonders leicht bei jungen
Frühgeburten einstellt, können
einzelne Teilzentren, z. B. das Periodenzentrum,
das Schnappzentrum oder des Singultuszentrum,
enthemmt werden.
-
- Noch bei einer zweiten menschlichen
Atemform, der Schnappatmung, sind die
Atembewegungen des Brustkorbes mit einer Offnung
des Mundes verbunden. Die gleiche Beziehung ist
stammesgeschithtlich vielfach nachzuweisen
(Babak). Selbst der Reckbewegung des
Gähnenden entsprechen bei niederen Tieren
ähnliche Vorgänge, die sich an die
Atmung knüpfen. Auf elnen näheren
Vergleich, der viel Hypothetisches enthalten
müBte, soll jedoch verzichtet werden.
-
- Atemzentrum and Schluckzentrum sind
ursprünglich eng mit einander verbunden.
Niedere Tiere besitzen noch else eine "
Schluckatmung, d. h. sie atmen, indem sie
schlucken. Reste dieser engen Beziehung lassen
sich noch beim Menschen nachweisen (Literatur
siehe Peiper). Es ist deshalb keinn Zefall, daB
ein anderer Nahrungreflex, der Suckreflex,
mehrfach (Popper, Gamper und Unteersteiner) in
seinem äuBeren Bilde and der Art seiner
Auslösung mit dem Gähnen verglichen
wurde.
-
- Gemeint ist folgender Vorgang: Berührt
man bel einem hungrigen Säugling mit einem
Gegenstand die Iippen, so öffnet er den
Mund, verzieht die Lippen und bewegt den ganzen
Kopf, bis er des berübrenden Gegenstand mit
dem Munde ergrfifen hat. Popper betont, and ich
kann es bestätigen, man im
Säuglingsalter durch Streicheln neben den
Mundwinkeln manchmal ein reflektorisches
Gähnen hervorrufen kann. Beim Erwachsenen
fehlt ein derartiger Reflex. Der Suchreflex, der
nach dem Säuglingsalter verschwindet, wurde
bei älteren Kindern gelegentlich noch im
Schlaf e nachgewiesen (Häggström) also
an einer Zeit, wo ähnlich wie beim
Gähnen die Hirntätigkeit auf eine
niedrigere Stufe hinabgeglitten ist.
-
- Die Schluckbewegung, die des Gähnen
abschlieBt, zeigt gleichfalls die engen
Beziehungen zwischen Atem- und Schluckzentrum,
denn das Schlucken bildet auch beim Menschen die
niederste Atemform. Es kann als eine Art
Notatmung noch beim Sterbenden auftreten, wenn
die Tätigkeit des eigentlichen Atemzentrums
bereits endgültig erloschen ist.
-
- Nach unserer Auffassung entsteht des
Gähnen durch einen vorübergehenden
Zerfall des Atemzentrums. Die Hemmungen, die
physiologisch von dem höchsten Bestandteil
auf das entwicklungsgeschichtlich tiefere
Gähnzentrum ausstrahlen, lassen nach, sodaB
das Gähnzentrum zeitweise die Führung
der Atmung an sich reiBt. Hat es sich aber
entladen, so wird es vorübergehend
arbeitsunfähig, sodaB die the alte Atemform
wieder herstellt. Der Erwachsene ist wohl
imstande, den Gähnreflex willkürlich
in Gang zu bringen, er kann aber nicht
willkürlich zweimal unmittelbar
nacheinander gähnen. Erst nach einer
gewissen, ziemlich kurzen Zeit gwinnt des
Gähnzentrum seine Erregbarkeit wieder.
-
- Mit dieser Auffassung wird, die Frage nach
der physiologischen Bedeutung des Gähnens
für den Gähnenden selbst
gegenstandslos. Man konnte sie bisher nicht
befriedigend beantworten, weil man in dem
Gähnen eine Abwehrbewegung des Körpers
gegen die Ermüdung sah. Dagegen erblicken
wir in dem Gähnen nur die Folge der
Ermüdung, ohne daB else Wirkung auf den
Körper zustandekäme. Es steht damit
auf der gleichen Stufe wie der Singultus, den
wir auch nur als die Folge einer Störung
auffassen, die sich in der verwickelten Mechanik
des Atemzentrums abspielt. Beide Erscheinungen
stellen subkortikale Reflexe dar, die über
dna Atemzentrum verlaufen.
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- Die Haufigkeit des Gähnens bei
Frühgeburten erklärt sich daraus, daB
die Unreife des Atemzentrums auf dieser
Entwicklungsstufe dessen Zerfall
begünstigt. Aus dem gleichen Grunde sind
bei ihnen auch andere zentrale
Atemstörungen (z. B. perodische Atmung und
Singultus) häufiger zu finden als mm
Späteren Leben.
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- Zusammenfassung. Dan Gähnzentrum bildet
einen entwicklungs- und stammesgeschichtilch
tieferen Bestandteil des Atemzentrums, von dem
es für gewöhnlich gehemmt wird. Wenn
bei der Ermüdung diese Hemmungen
nachlassen, so reiBt das enthemmte
Gähnzentrum vorübergehend die
Führung der Atmung an sich. Man gähnt
also nicht, um der Müdigkeit
entgegenzuwirken, sondern infolge der
Müdigkeit.
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